Kritik
Kritik am Uses-and-Gratifications-Ansatz
Ist der Uses-and-Gratifications-Ansatz eine Theorie?
Der Uses-and-Gratifications-Ansatz basiert auf einer einzelnen Annahme: Menschen Nutzen das Medium, mit dem sie ihre Bedürfnisse am besten befriedigen können. Dadurch erfüllt er nicht die Merkmale einer Hypothese, denn Hypothesen müssen falsifizierbar sein. Da für eine Theorie mehrere miteinander verbundene Hypothesen benötigt werden, ist der UG-Ansatz auch keine Theorie. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz ist also mehr ein Forschungsfeld oder ein Denkansatz. Auf dieser Basis können anschließend Hypothesen und Theorien entwickelt werden.
Dauerhafte oder situative Nutzungsmotive?
Da sich das Verhalten und die Bedürfnisse eines Menschen jeden Augenblick ändern können, müsste der Uses-and-Gratifications-Ansatz eigentlich situatives Verhalten untersuchen. Trotzdem werden die Ergebnisse mehr Situationsübergreifend angesehen, da dieses überdauernde Nutzungsmuster erklärt. Da sich situationsbedingte jedoch Motive extrem unterscheiden können, werden in der Uses-and-Gratifications Forschung vor allem zeitlich stabile Motive untersucht. Das hat auch damit zu tun, dass die Medien und ihr Potenzial zur Bedürfnisbefriedigung im Mittelpunkt stehen. Es geht um Eigenschaften der Medien aus der Sicht der Nutzer. Das ist unabhängig von der Situation. Deswegen wird in den Befragungen meistens die Wahrnehmung des eigenen Nutzungsverhaltens befragt und nicht spezifische Nutzungssituationen. Es geht also mehr um die alltägliche Mediennutzung. Aus diesem Grund werden die wenigsten Daten mit Stichtags-Befragungen, Laborexperimenten oder Beobachtungsstudien erhoben. Als Forschungsmethode werden eher Selbstauskünfte der Nutzer verwendet. Dabei entsteht das Problem, dass viele Entscheidungen im Alltag ritualisiert sind, der Rezipient denkt also kaum über seine Entscheidungen nach. Der UG-Ansatz bezieht sich also - in der Theorie auf konkretes, situatives Verhalten - in der Forschung / Praxis auf allgemeines Verhalten (→ Verhaltensmuster)
Medienzentrierte Sichtweise
Der Fokus auf Medien kann zu dem Schluss führen, dass Medien für ein bestimmtes Bedürfnis geschaffen werden. Der Uses-and-Gratifications-Ansatz geht davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen Medienangeboten und Nutzungsmotiven gibt. Ob ein Medium unterhaltsam oder informativ ist, liegt aber immer im Auge des Nutzers. Umweltkontrolle, Eskapismus, Langeweile und Unterhaltung als Nutzungsmotive hängen stark mit der Bevorzugung bestimmter Medien und soziodemografischen Faktoren zusammen. Medienprodukte werden für ein bestimmtes Bedürfnis konzipiert (Dokumentation → Information, Spielfilm → Unterhaltung). Man kann also davon ausgehen, dass ein Medienprodukt häufiger aus diesem Grund rezipiert wird, aber diese Quote wird nie bei 100 % liegen. Die Medien, zwischen denen sich ein Nutzer in einer Situation entscheiden kann, liegen meistens auch nicht auf derselben Abstraktionsebene. Sie sind deswegen nicht gut zu vergleichen. (Irgendwas im Fernsehen vs. Ein bestimmtes Buch vs. Chatten). In den Studien werden die Teilnehmer daher zur Bedürfnisbefriedigungsleistung verschiedener Gattungen, Genres oder Angebote befragt, die alle auf demselben Abstraktionsniveau liegen. Diese Situation entspricht dann aber selten der Wirklichkeit. Auch die Möglichkeit, überhaupt keine Medien zu nutzen, wird in den meisten Studien außen vor gelassen.
Individualismus
Dem Uses-and-Gratifications-Ansatz wird immer wieder vorgeworfen, individualistisch zu argumentieren. Schließlich geht es bei der UG-Forschung um individuelle Bedürfnisse von individuellen Personen. Der UG-Ansatz klammert die soziale Interaktion jedoch fast vollständig aus. In Uses-and-Gratifications-Studien wird so getan, als würden die Rezipienten Medien ausschließlich allein und autonom nutzen. Der soziale Kontext der Mediennutzung wird im Gegensatz zu den sozialen Funkionen (Anschlussbedürfnis) fast vollständig vernachlässigt.
Methodenkritik
Ein weiterer Kritikpunkt ist die Frage, inwieweit es möglich ist, habitualisiertes und unbewusstes Verhalten und die daraus resultierenden Bedürfnisse benennen zu können. Mediennutzung geschieht in vielen Fällen nicht absichtlich, sondern unterbewusst. In den Uses-and-Gratifications Befragungen müssen sich die Befragten diesen Fragen bewusstwerden, sie also rationalisieren. Dabei stellt sich die Frage, ob Bewusstheit und Rationalität gleichzusetzen sind. Auch unbewusste Entscheidungen können rational sein. Es ist effektiver und zeitsparender, Entscheidungen unbewusst zu treffen, wenn diese keine große Relevanz haben. Dadurch ist dieses Verhalten rational, da es nicht sinnvoll wäre, über irrelevante Entscheidungen lange nachzudenken. Das Gleiche gilt für Gewohnheiten. Wer einmal eine Entscheidung trifft und über einen längeren Zeitraum feststellt, dass das Verhalten sinnvoll ist, muss seine Entscheidung nicht jeden Tag aufs neue Überdenken, nur um wieder zum gleichen Ergebnis zu kommen.
Äußere Einflüsse, Mediennutzung und Handlungstheorie
Es stellt sich die Frage, inwieweit die Mediennutzung durch externe Bedingungen beeinflusst wird. Ist dieser Einfluss hoch, wird die Entscheidung des Einzelnen immer irrelevanter. Die persönlichen Bedürfnisse wären in diesem Fall nur einer von extrem vielen Faktoren. In die entgegengesetzte Richtung geht die Annahme, dass Mediennutzung eine sinn- und absichtsvolle Handlung darstellt. Um diese interpretieren zu können, müssen die individuellen, sozialen und kulturellen Einflüsse einbezogen werden, um ein klares Bild zu erhalten.
Vermeidungsstrategien
Der UG-Ansatz unterstellt, dass die Rezipienten immer genau die Medienangebote zur Verfügung haben, die ihren Bedürfnissen am besten entsprechen. Das ist in der Realität aber nur sehr selten der Fall. Die Auswahl erfolgt also eher danach, welches der zur Verfügung stehenden Angebote den Bedürfnissen am ehesten (also zumindest teilweise) entspricht. Dieser Umstand fällt in den Uses-and-Gratifications-Studien aber kaum auf, da in diesen keine situativen Bedürfnisse abgefragt werden. Zwar hat sich das Angebot in den letzten Jahren durch das Internet stark vergrößert, trotzdem bleibt das Problem, wie der Rezipient die Inhalte finden kann, die er konsumieren möchte. In den Uses-and-Gratifications-Studien wird dem Nutzer unterstellt, sämtliche Optionen zum Zeitpunkt der Entscheidung zu kennen. In der Realität herrscht aber immer eine gewisse Unsicherheit, da das Wissen und die Information begrenzt ist. Daher kann man kritisieren, dass der UG-Ansatz nur dann hilfreich ist, wenn man beobachtet, warum Nutzer ein Angebot weiter/ wiederholt nutzen, nicht warum es ursprünglich ausgewählt wurde.
Uses-and-Gratifications und Medienkonvergenz
Jedes neue Medium provozierte neue UG-Studien. Dabei ging es um Vergleiche zwischen Gattungen, Genres und Angeboten. In den letzten Jahren wurden immer mehr Angebote ins Internet verlagert. Der Nutzer kann nun das gleiche Angebot auf verschiedenen Geräten rezipieren. Dadurch kommt die Frage auf, ob die Bedürfnisse, die zuvor einer bestimmten Gattung zugeordnet wurden, nicht auch mit der Medientechnik verknüpft sind. Es kam also die Frage hinzu, ob nicht auch das Trägermedium bereits ein Bedürfnis erfüllen kann, oder ob dieses beliebig austauschbar ist. So könnte sich ein Rezipient für eine gedruckte Zeitung entscheiden, da er so schon immer gedruckte Zeitung konsumiert hat. Emotionale, kulturelle und technische Einflussfaktoren klammert die Uses-and-Gratifications Forschung aber weitgehend aus.